Bordbuch Mai21: Zweite Woche
….weiter geht die Reise der Petrine durch die schwedischen Schären.
Was bisher geschah (das Bordbuch der ersten Woche)
Letzte Aktualisierung:20. Mai abends (Interview Radio Gotland und Fotogalerie aus Visby ergänzt)
Dienstag, 11. Mai
Niemand will fort von hier. Was ist das nur, hier mit diesem Steinbruch? Seit 1993 kommt die Petrine hierher und beinahe jedes Mal ist es ein Höhepunkt der Reise. Schiff und Landschaft passen hier gut zusammen. Das Schiff wurde 1909 gebaut, der Steinbruch war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im Betrieb. Der Granit wurde u.a. nach Stralsund verschifft, von kleinen Lastenseglern mit 100 Tonnen Ladekapazität, wie z.B. der Petrine. Der Steinbruch auf Näset wurde 1926 stillgelegt; die Petrine schlug sich noch weitere 20 Jahre als Frachtsegler durch.
Noch 1993 war dies ein verlassener und doch magischer Ort. Inzwischen wird er ansatzweise museal und als Ausflugsziel genutzt. Wege hierher gab es damals und gibt es heute nur für Fußgänger, alle Transporte müssen übers Wasser, also über die Pier erfolgen.
Was macht diesen Ort so attraktiv, so geradezu magisch? Vor hundert Jahren war hier eine einzige Zerstörung und Verwüstung der Landschaft. Presslufthammer und Dynamit taten was sie konnten, um die Vegetation und sogar die Geologie zu zerstören. Schienen wurden verlegt für die dampfbetriebene Lorenbahn, Hügel wurden abgetragen, Staub war überall bis in weite Entfernung, Arbeitsunfälle und schwere Unglück gehörten zum Betriebsablauf. Nach 1926 hat sich bestimmt niemand darum gekümmert, die Wunden in der Landschaft zu heilen. Dennoch ist in den letzten fünfundneunzig Jahren eine wunderbare neue Vegetation entstanden. Zwischen der liegengeblieben, verworfenen Steinen, in den Spalten, an den Abhängen finden viele Pflanzen, Insekten und Vögel Lebensräume. Heute sehen wir einen naturbelassenen Landschaftspark und staunen über die herumliegenden handbehauenen großen Steine, die einmal ein verziertes Sims, ein Bordstein oder eine Fensterfassung hätten werden sollen. Die Natur hat die Wunden geheilt. Seit ungefähr 2005 hat die Gemeinde Oskarshamn ein paar Infotafeln aufgestellt, die uns eine Geschichte erzählen. Vom rücksichtslosen Treiben der Menschen und von den heilenden Kräften der Natur. Fünfundneunzig Jahre nach der letzten Sprengung hat sie hier ein Paradies wachsen lassen.
Wir wandern nach Paskallavik, fahren mit dem Beiboot nach Vanevik zum Spielplatz oder mit dem Fahrrad nach Oskarshamn. Gelegentlich wird am Lagerfeuer musiziert, ansonsten ist viel entspanntes Geplapper zu hören.
Eine Reaktion von Jörg- Thomas B. auf den Bericht des Skippers über den Steinbruch von Näset:
Oh ja, Näset! Ich war jedenfalls im August 2011 sofort hin und weg, als wir nach traumhafter Fahrt auf engem Fahrwasser durch die Schären im Anschluss an den Baltiktörn (überhaupt eine meiner schönsten Petrine-Reisen) bei bestem Sommerwetter dort festgemacht hatten.
Da muss ich auch gar nicht erst in meinem damaligen Reisetagebuch nachsehen – ich erinnere fast Alles noch wie heute: Tonis ausgelöste Automatikweste gleich beim Anlegemanöver, der verständnislose Blick Svenjas angesichts seiner gelben Halskrause, das Sammeln von Pilzen und Beeren, ein von der Natur mit üppiger Ruderalvegetation besiedelter und zurückeroberter Steinbruch (welch eine Potenz Pflanzen doch haben, wenn man sie nur lässt), Funkenregen beim Ausbrennen des Schiffs-Schornsteins über dem Lagerfeuer, der Einschulungshaarschnitt, mit dem der Kapitän nach langer Seereise wieder landfein gemacht wurde, die Gitarrenklänge von Thomas am Feuer nach reichhaltiger Grillmahlzeit in lauer Sommernacht.
Dann der wehmütige Abschied am nächsten Morgen („ Niemand will fort von hier.“ – auch damals schon), ein kurzer Zwischenstop auf Öland, wo Petrine an waschechten Granitpollern festgebunden war, welche vielleicht sogar in Näset herausgesprengt worden waren, der gespannte bis sorgenvolle Blick auf’s Tablet in diverse Wetterberichte, als es in der Fussgängerzone von Borgholm endlich wieder Verbindung zum Internet gab, eine wahnsinnig nette Mannschaft mit einem waschechten Bayern in unserer Vormsi-Wache und, und, und . . . . .
Solch einen Ort findet man eben nur mit Petrine – in dem Wort „magisch“ ist eigentlich alles zusammengefasst.
Gute Weiterreise, wenn Ihr denn dort überhaupt jemals wieder wegkommt, und liebe Grüsse – Tom
Mittwoch, 12. Mai
Nach dem Frühstück wird die Pier aufgeräumt und wir Tuckern nordwärts durch den Fläskösund aus den Schären. Alle Segel werden gesetzt und wir laufen den ganzen Tag nordwärts vor dem Schärengürtel. Schöne, ruhige Fahrt im Sonnenschein, erstmals mit Topsegel.
Um 18.00 Uhr machen wir auf der ehemaligen Lotseninsel Idö vor Västervik fest. Es erwarten und die üblichen Annehmlichkeiten eines Hafens, sogar mit geöffneten Sanitäranlagen, und eine wunderbare bewohnte Schäre zum erkundigen am morgigen Tag.
Donnerstag, 13 Mai
Die Spaziergänge auf Idö zeigen uns ein Bilderbuch-Schweden mit kleinen Bootshäusern, gepflegt-verwilderten Gärtchen um falunroten Häusern und viel felsiger Schärenlandschaft dazwischen. Eine Besonderheit sind Erdhäuser in der Nähe der Sommerweiden, die für menschliche Nutzung eingerichtet sind, bzw waren. Hier konnte man wohnen wie die Hobbits.
Mensch, Pflanze und Tier können hier prächtig gedeihen und Oskar gelingt es, ein beeindruckendes Tier zu filmen.
Mittags verlassen wir den Anleger, setzen die Segel und vor dem schwachen Nordostwind segeln wir stundenlang, ereignislos und in aller Ruhe über glattes Wasser zur Nordspitze der Insel Öland.
In der Grankullavik gehen wir um 19.30 Uhr vor dem Trollwald zu Anker. Die Sonne scheint bis nach 21.00 Uhr und nach dem Abendessen ist noch Zeit für einen Beibootausflug mit Wanderung im verwunschenen Wäldchen. Auf dem Schiff wird währenddessen der Dortmunder Pokalsieg gefeiert.
Freitag, 14. Mai
Nach dem Frühstück wird je eine Wanderergruppe zum Trollwald auf der Ostseite oder zum Leuchtturm Langer Erik auf der Nordseite der Bucht gefahren. Anschließend verholt die verbliebene Crew das Schiff an den verlassenen Fähranleger im Inneren der Bucht. Hier wollen wir uns nachmittags alle wieder treffen. Vom Wind ist heute nichts erwarten. Aber Morgen soll ein frischer Südwind uns nach Gotland bringen!
Im Laufe des Tages wird viel gewandert und Rad gefahren. Zum Trollwald, zum Langen Erik und zu den Fossilien in Neptuns Steingarten an der Westküste der Insel. Abends backen wir Pizza und spielen im Salon.
„Das hört sich für mich inzwischen alles nach einem ganz normalen Urlaub an. Merkte man denn in Schweden überhaupt noch etwas von Corona und der Pandemie?“
„Ja, im Vergleich zu normalen Zeiten war eindeutig weniger touristischer Betrieb. Im Gegensatz zu Deutschland war so gut wie nichts verboten, aber die Leute haben freiwillig Abstand gehalten und ihre sozialen Kontakte reduziert und gelegentlich Masken aufgesetzt. Camping und Bootsleben, Friluftsaktiviteter, wie solche Draußen-Aktivitäten auf Schwedisch heißen, die fanden ganz normal statt. Das war ja auch einer der größeren Fehler in Deutschland, den Leuten den Aufenthalt an der frischen Luft zu verbieten: Spazierengehen nur mit Hund, Parkbänke werden abgeschraubt, Spiel- und Sportplätze werden geschlossen. Und wir z.B. durften nicht segeln. Obwohl man sich dabei nun wirklich kaum anstecken kann!“
„Wie wurden solche Maßnahmen denn begründet?“
„Generell wurde garnicht viel begründet. Es wurde häufig die Strategie gewechselt im Laufe der Pandemie, aber die jeweils geltenden Maßnahmen wurden schlecht begründet und Zweifel wurden abgebügelt. Wenn jemand das in Frage gestellt hat, dann wurde er den Demokratiegegnern zugerechnet. Solche gab es auch, aber trotzdem muss doch Widerspruch möglich sein, davon lebt doch eine Demokratie: Erkenntnisgewinn durch Widerspruch und Diskussion. Und nicht alle paar Wochen eine neue Strategie und die soll dann auch noch alternativlos sein.“
„Einfach abzuhauen, so wie ihr das gemacht habt, das bringt nun aber nicht gerade Erkenntnisgewinn, oder? Das kann’s ja wohl auch nicht sein!“
„Och, ich finde, wenn man vorsichtiges Verhalten, also Vermeidung von Infektionsmöglichkeiten und Kontakten mit entschlossenem Handeln verbindet, dann kommt man schon mal aus dieser Lethargie raus. Nichts tun zu können, das ist ein schlimmer Zustand und daran sind auch viele krank geworden.“
„Ist das nicht rücksichtslos? Ich meine, nicht alle können sich so was leisten.“
„Nee, mag sein. Aber alle können sich mal umschauen, was sie sich leisten können und dann den Hintern in Bewegung setzen. Wanderungen und Radtouren, das wurde zwar erschwert, aber unmöglich war es nicht. Viele Leute haben sich sinnvoll beschäftigt. Baumärkte waren überlaufen, Hefe war ausverkauft, weil die Leute so viel gebacken haben.
Rücksichtslosigkeiten gab es damals natürlich auch. Z.B. haben manche Leute sich den Tests verweigert. Die wollten sich nicht testen lassen, ob sie infektiös sind. Die wollten im Klartext lieber andere anstecken, als sich selber testen zu lassen. Manche sind auch weiterhin allen möglichen Leuten um den Hals gefallen, oder haben ihnen den Handschlag zur Begrüßung aufgedrängt, als ob das nun gerade besonders cool wäre. Viele jüngere haben ausdrücklich gesagt, dass sie keine Angst vor Corona hätten und deshalb sich nicht impfen oder testen lassen würden. Sie hatten ja recht damit, dass gesunde Jüngere kaum etwas von Corona zu befürchten hatten, aber man muss doch auch an die Alten und Kranken denken, für die das eine gefährliche Krankheit war. Im Mai 2021 waren die Alten fast alle geimpft und dann sind auch nicht mehr so viele Leute ernsthaft krank geworden, wie zu Beginn der Pandemie.“
„Und dann kam der Sommer…“
„Ja. Dann wurde alles anders. Da zeigte sich dann übrigens auch, dass unser Segeltörn nach Schweden eine gute Vorübung für den Sommer war: Improvisieren und auf ungeplante plötzliche Ereignisse reagieren, das lernt man ja auf so einem Segeltörn.“
„Und das hattest du natürlich alles auf dem Schirm, als ihr Anfang Mai losgefahren seid?“
„Mach dich nicht darüber lustig! Niemand hätte voraussehen können, was im Sommer 21 geschah. Erst hinterher kann man sich seine Geschichte so zurechtlegen, dass das alles irgendwie einen Sinn ergibt. Mittendrin ist alles erstmal sehr unübersichtlich. Das ist immer so, nicht nur in der Pandemie.“
Samstag, 15. Mai
Es regnet in der Grankullavik und es regt sich kein Lüftchen. Aber im Laufe des Tages soll es aufklaren. Der Wind soll aus Süd wehen und uns heute nach Visby auf Gotland bringen. Erstmal frühstücken wir ausgiebig.
Um 10.00 Uhr setzen wir die Segel am alten Fähranleger. Die Kinder sind gerade noch rechtzeitig vom Fossilienstrand „Neptuns Acker“ zurückgekommen. Ohne die Maschine zu starten, segeln wir aus der Grankullavik auf die offene See hinaus. Dort weht ein frisches Lüftchen und schon bald sind wir mit 5 bis 6 Knoten und Raumschotskurs auf Gotland unterwegs. Dies wird eine leichte, ungetrübte Überfahrt. Nur auf den nachmittäglichen Nebel hätten wir vielleicht gern verzichtet. Aber der zwingt uns zu erhöhter Aufmerksamkeit und zwei Kurswechseln auf dem Großschifffahrtsweg.
Um 17.00 Uhr tauchen an Steuerbord die Klippen von Gotland auf. Bald kommt voraus Visby in Sicht und um 18.30 nehmen wir im Hafen die Segel weg und machen im Yachthafen vor dem Hafenbüro fest. Im Sommer kann man trockenen Fußes übers Wasser laufen, so viel Betrieb herrscht hier. Jetzt liegen außer uns nur drei Yachten im Hafenbecken. Der nächtliche Regen stört uns nicht, denn er soll morgen aufhören.
Sonntag, 16. Mai
Eine freundliche, touristenleere Stadt im Sonnenschein erwartet uns.
Montag, 17. Mai
Ein Auto wird gemietet für eine Tour zur Nachbarinsel Farö. Neben schönen Bildern und Erlebnissen wird von dort ein großer Lammbraten mitgebracht. Wieder scheint den ganzen Tag die Sonne.
Dienstag, 18. Mai.
Drei Tage lang haben wir uns von der alten Stadt Geschichten erzählen lassen. Vom Glöckner und der Totengräberin, von Waldemar Atterdag, den Vitalienbrüdern, den Badenden Freunden und den Gotlandschafen.
Heute fahren wir weiter. Wind weht keiner. Die Karlsinseln sind unser Ziel. Wenn der Wind wieder weht, soll er voraussichtlich aus Südwesten wehen. Jetzt wird es also schwieriger.
Aber wir hatten drei Tage in Visby mit Sonnenschein und allen Freiheiten!
In der Mittagszeit kommt ein schwacher Nordwestwind auf. Wir setzen alle Segel und schleichen mit 2 bis 3 Knoten auf die Große Karlsinsel zu…. Wie es dort weitergeht erfahrt Ihr im Bordbuch der Dritten Woche