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3. Nordmeertörn – Der Norden

Samstag, 24. Juni

Den ganzen Tag treffen angehende Nordkapumsegler ein, lassen ihr Gepäck an Bord und stürzen sich in das brodelnde Tromsöer Leben. Die Einkaufsmeile ist voller Marktstände, Musiker, Touristen und Einheimische. Die erste richtige Stadt in Nordnorwegen. Auch nachts kehrt keine Ruhe ein, bis in die Morgenstunden treiben sich die Aktivsten von uns in den Kneipen und Discos herum. Hier ist was los.

Sonntag, 25. Juni

Nach Frühstück und Sicherheitseinweisung segeln wir nicht los, denn wir warten noch auf Nachzügler. Die Aktivsten von heute sind andere als die Aktiven der letzten Nacht: Die heutigen nutzen das passable Wetter für eine Wanderung auf den 600 Meter hohen Flöyen, welcher der Stadt gegenüber auf der Ostseite des Sundes liegt. Von dort bietet sich ein toller Anblick der Stadt.
Um 18.00 sind alle an Bord, Wasser ist gebunkert, wir legen ab und tuckern im Tromssund nordwärts. Nach dem Abendessen können wir Segel setzen und mit munterer Fahrt geht es durch den Grötsund auf die Lyngsalpen zu. 1500 Meter hohe Gipfel, Schneefelder und Gletscher dazwischen, erstrecken sich hier auf einer Länge von gut 80 km. Diesen Anblick genießen wir bis Mitternacht, der Westwind ist längst eingeschlafen.

Montag, 26. Juni

Nach langem Herumtreiben und erfolglosen Angelversuchen machen wir um 3.00 im Hafen von Sör-Lenangen fest. Der Blick auf die Lyngsalpen ist durch tiefhängende Wolken verwehrt. Vormittags regnet es heftig und das Frühstück zieht sich über Stunden. Um 11.00 legen wir ab und tuckern bei Windstille und schlechter Sicht durch strömenden Regen. Nach dem Mittagessen klart es auf, Wind setzt ein, wir können segeln und – was mindestens genau so wichtig ist – wir können uns an der tollen Landschaft freuen, denn die Wolken haben sich in höhere Luftschichten verzogen, gelegentlich lassen sie sogar die Sonne durch. Bis in den späten Abend segeln wir mit unsteten Winden in den Kvaenangsfjord hinein. Die gleichnamige Bergkette gehört zum Schönsten, was Norwegen zu bieten hat. Um 22.30 machen wir direkt unter den steil aufragenden Gipfeln des Kvaenangsfjells fest.

Dienstag, 27. Juni

Morgens finden wir zwei bemerkenswerte Dinge vor: Neuschnee auf dem Fjell oberhalb von 800 Meter und in der Fischwanne liegt der größste Dorsch, der je auf der Petrine gefangen wurde: 15 Kilogramm, 120 cm lang. Der Dorsch wird im Laufe des Tages filetiert, aber alle Versuche, das Fjell zu bezwingen scheitern am schwierigen Terrain. Dafür werden die Wanderer entschädigt mit wunderschönen Blumen, Wasserfällen und einer Rentierherde. Um 13.00 können wir direkt von der Pier lossegeln. 3 Stunden später segeln wir in den Jökelfjord und voraus kommt der Öksfjordgletscher in Sicht, der einzige europäische Gletscher, der direkt ins Meer kalbt. Um 17.00 machen wir in Olderbakken fest, zunächst nur um Wasser zu bunkern. Dann verschwinden aber Gletscher und Berge in den Wolken, es fängt an zu regnen und so geht der Nachmittag in einen gemütlichen Spieleabend unter Deck über.

Mittwoch, 28. Juni

Heute ist es klar und trocken, hier und da bescheint die Sonne die Fjordufer. Gleich nach dem Frühstück segeln wir weiter in den Jökelfjord hinein zur Abbruchkante des Gletschers. Als wir bis auf eine halbe Meile heran sind, bricht ein Stück Eis ab. Gefolgt von einem rauschenden Schwall Wasser geht alles zu Tal und verliert sich in einem vorgelagerten Schneefeld. Um 10.45 gehen wir in der Skalsabucht zu Anker und viele wandern zum nahegelegenen See, der sich weit ins Inselinnere erstreckt, umgeben von arktischer Hochgebirgslandschaft. Ab 17.00 tuckern wir bei glänzender Sicht und Windstille aus Jökelfjord und Kvaenangenfjord hinaus. Die Berge von Finnmarken, der nördlichsten und östlichsten Landschaft Norwegens begrüßen und begleiten uns in der Abendsonne bis zur Insel Loppa. Dort machen wir um 23.20 fest und kümmern uns um die Reste des gestrigen Dorsches, der uns allen für 2 Mahlzeiten und eine Suppe gereicht hat.

Donnerstag, 29. Juni

Vormittags spazieren wir auf der Schieferinsel Loppa umher, über Wiesen, Hügel, Sandstrände, hin zum Dörfchen auf der Südseite. Oder nur um die Ecke zum Strand, den Austernfischern und Strandläufern zuschauen. 13.00 Los auf Loppa, bedeckt, windstill, Baro 1022. Kurs Ost in die Fjorde Finnmarkens. Wir tuckern um die Insel Silda, etwa 40 qkm groß, bis zu 570 m hoch, durchschnittliche Höhe etwa 250 m Gesamtlänge der Wasserfälle sicher viele Kilometer. 2 Häuser gibt es hier an der Ostseite, wahrscheinlich nur im Sommer bewohnt. Der Ort Bergfjord liegt in einer Bucht, vielleicht 200 Einwohner, keine Straßenverbindung, aber Post, Geschäft, Cafe, Werft und Tankstelle (für Schiffe) gibt es hier. Überall liegt Schnee auf den Bergen, hinter Bergfjord fließt eine Gletscherzunge ins Tal, die Hochgebirgslandschaft beginnt direkt am Fjordufer. Um 21.00 fällt der Anker im Nordfjord bei der Insel Stjernöya. Ein wunderbarer Platz für Lagerfeuer und kleine Erkundungswanderungen. Ein Bergsee, viele Wasserfälle und Steilhänge und ein Kadaver werden entdeckt. Ein Walkadaver von beträchtlichen Ausmaßen, hinreichend verwest, sodass etliche Wirbel und Rippen mit aufs Schiff genommen werden.

Freitag, 30. Juni

Um 7.00 gehen wir Anker auf. Es regnet. Nach dem Frühstück setzt Wind ein und es entwickelt sich ein prima Segelvormittag. Der Regen hört freundlicherweise auf und mittags kommt Hammerfest in Sicht. Dort machen wir um 14.00 fest, denn um 17.00 haben wir hier einen Termin. Das Städtchen gefällt uns über Erwarten gut, die Sonne kommt raus, der Wind schläft ein und der Termin um 17.00, das Fußballspiel Deutschland gegen Argentinien, zieht sich etwas hin wegen Verlängerung und Elfmeterschießen. Schlussendlich bleiben wir über Nacht in Hammerfest liegen.

Samstag, 1. Juli

Vor dem Frühstück tuckern wir aus dem Hafen von Hammerfest heraus und um den riesigen Gasterminal auf der Insel Melköya herum. Am Himmel sind nirgends Wolken zu sehen, die Sonne brennt geradezu und die Fernsicht geht bis zu den äußersten Inseln und landeinwärts bis zu den höchsten Gletschern. Bald können wir sogar segeln und es geht recht flott vorran. Die Inseln sehen hier bereits sehr arktisch aus: Baumlos, fast menschenleer, schroffe Felsküsten mit eingestreuten Sandstränden. Mittags schläft der Wind ein, wir freuen uns eine Weile an der schönen Gegend und staunen über die arktischen Luftspiegelungen, die hier bei warmem Wetter über kaltem Wasser entstehen. Um 14.30 machen wir in Tufjord auf der Insel Rolfsöya fest. Beinahe alle machen sich auf den Weg zu einer Bucht an der Nordküste der Insel. Wir wandern über weites Rentierweideland, durch sumpfige Täler und Bäche, über steinige Hügel und kaum erkennbare Pfade. Und wir bekommen eine Ahnung von den hiesigen Mückenschwärmen. An der Nordküste werden wir vom einzigen Bewohner der Bucht mit Kaffee empfangen. Er freut sich über den ungewöhnlich zahlreichen Besuch und erweist sich als humorvoll und schlagfertig. Ob es nicht sehr einsam sei in dieser Bucht, wird er gefragt. „Not today!“ Mit seiner Hilfe werden gegen 19.00 Uhr alle Wanderer zur Petrine übergesetzt, die in der Bucht vor Anker liegt. Bei Windstille und Sonnenschein fahren wir ostwärts nach Havöysund, wo wir um 21.15 festmachen.

Sonntag, 2. Juli

der nördlichste Punkt Europas

Im Nieselregen und bei kaum spürbarem Westwind legen wir um 7.00 in Havöysund ab. Bald sind alle Segel gesetzt, der Regen hört auf und wir machen ganz passable Fahrt nach Nordosten. Mittags passieren wir den größten Vogelfelsen Norwegens, den Storstappen. Dort nisten 2 Millionen Vögel. Vorraus kommt der Knivskjelodden in Sicht, der nördlichste Punkt Europas. Das Nordkap, 2 Meilen südöstlich des Knivskjelodden ist ein großer, besonders beeindruckender Felsen, liegt aber südlicher . Unter vollen Segeln, bei spiegelglatter See, leichtem Südwestwind und Sonnenschein runden wir um 14.45 den nördlichsten Punkt. Wir bergen die Segel, setzen das Beiboot aus und klettern auf den zerklüfteten Granitrücken des Knivskjelodden. Im Sonnenschein können wir schöne Fotos vom Nordkap machen mit der Petrine im Vordergrund, die mit Minimalbesegelung in Ufernähe kreuzt. Um 18.00 runden wir auch das Nordkap und eine Stunde später gehen wir in der Skarsvaagbucht zu Anker. Wir feiern unseren nördlichsten Tag mit Fleisch und Fisch vom Grill, reichlich Salaten und Gitarre und Akkordeon.

Montag, 3. Juli

Morgens verholen wir in den Hafen von Skarsvaag zum Wasserbunkern bei der nördlichsten und freundlichsten Fischverarbeitung der Welt. Ab 10.30 treiben uns die Fallwinde vom Hochplateau der Insel Magebröy zügig aus dem Fjord. Leider verlässt uns schon am Mittag der Wind und wir dümpeln bis 16.00 immernoch in Sichtweite des Nordkaps. Warum auch nicht, die See ist ruhig, wer keine Wache hat schläft, liest, backt oder isst. Dann fahren wir mit Maschine ostwärts auf das Nordkinn zu, den nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes. Wir wollen dort zunächst angeln und dann ausbooten, wie wir es gestern so schön am Knivskjelodden gemacht haben. Der erste Teil des Planes klappt hervorragend, binnen einer knappen Stunde ist die Fischwanne mit Dorschen und Köhlern gut gefüllt. Im Dunst kommt um 22.00 das Nordkinn in Sicht. Schroffer und steiler als das Nordkap, bröselig wie eine Geröllhalde, vegetationslos und ohne jede Ankermöglichkeit liegt das Kap zwischen den Nebelfetzen. Ein schrecklich schöner Anblick, der jeden Gedanken ans Ausbooten sofort verfliegen lässt. Stattdessen beginnen wir gegen schwachen Ostwind aufzukreuzen. Wir haben ja Zeit.

Dienstag, 4. Juli

Der schwache Ostwind wird von fallendem Barometer, einer langen Dünung aus Nordwest und beständigem Regen begleitet. Um 5.00 kommt der Leuchtturm Slettnes in Sicht. Hier ist die Nordkinn-Halbinsel zu Ende. Um 10.00 laufen wir Gamvik an. Es regnet in Strömen, die Leute sind freundlich und helfen mit Wasser, einkaufen und Liegeplatz. Mittags dreht der Wind auf Nordwest und wir setzen Segel mit Ziel Berlevaag. Dort haben wir um 21.00 einen Termin (Deutschland-Italien). Eine halbe Stunde vorher machen wir fest und schon bald haben wir eine Großbildleinwand ausfindig gemacht. Der Ausgang des Spieles hebt unsere Stimmung nicht und wir gehen vor Mitternacht in die Kojen.

Mittwoch, 5. Juli

Berlevaag ist ein Ort in der Wildnis. Direkt hinter dem letzten Haus fängt der Fels an, nur noch von Mosen und Flechten bewachsen, Rentierweideland. Überall liegen noch Schneereste in der Landschaft und heute wird er nicht schmelzen. Häuschen und Kirchlein, der Kindergarten und die Schule, alles macht trotz des Regenwetters einen freundlichen Eindruck. Mittags reffen wir das Großsegel, denn es weht mit 6 Windstärken und legen ab mit Kurs Südost. Wir machen flotte Fahrt, an Steuerbord liegt die arktische Küste von Finnmark, keine Siedlungen, kaum je ist ein Haus zu sehen. Unter Deck wird Schlaf nachgeholt, Sudokus gelöst, Fotos bearbeitet, Bohnensuppe gekocht. Um 22.00 machen wir in Vardö fest ohne die Maschine zu benutzen.

Donnerstag, 6. Juli

Vormittags laufen wir im Städtchen Vardö herum. Östlichster Vorposten Norwegens, ehemaliges und hoffentlich zukünftiges Zentrum des Russlandhandels. Vardö hat in den letzten Jahren viel von seiner Bedeutung und fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Das ist auch am Stadtbild nicht spurlos vorrübergegangen. Die tolle Lage auf 2 Inseln in der Barentsee ist der Stadt aber nicht zu nehmen und so bleibt sie ein lohnendes Reiseziel. Nach dem Mittagessen setzen wir alle Segel und es geht mit unbestimmtem Ziel und wechselnden schwachen Winden in den Varangerfjord, der eigentlich kein richtiger Fjord, sondern eine breite Meeresbucht ist. Am frühen Abend kommt die Sonne durch und wir hoffen auf die zweite Mitternachtssonne. Bislang war sie ja wegen der meist geschlossenen Wolkendecke nur am Nordkapabend zu sehen. Kurz vor Mitternacht wird ein Wal gesichtet, tatsächlich der erste auf dieser ganzen Norwegenreise. Die Sonne hält durch und um Mitternacht treiben wir bestens gelaunt in Flaute und Sonnenschein auf dem Varangerfjord.

Freitag, 7. Juli

Von irgendwoher kam dann doch immer irgendein Lüftchen und so können wir segeln bis morgens um 6.30 vor der Mündung des Korsfjordes. In der Kobbvaagenbucht auf der Insel Skogsöya fällt vor einer Flussmündung der Anker. Auch im Nieselregen eine wunderschöne Bucht mit rauschendem Wasserfall, Felsen, Moosen und Flechten ringsumher. Die meisten schlafen weit in den Vormittag hinein. Ab mittags wird gewandert über die Hügel und entlang der Bäche und Seen. Eine größere Rentierherde wird gesichtet und die schöne Ankerbucht wird viel gelobt. Nach einem sehr entspannten, zuletzt sogar sonnigen Tag gehen wir um 19.30 Anker auf und tuckern die letzten Meilen nasch Kirkenes. Dort machen wir um 21.30 fest. Zum Abschied ist uns nochmal eine wunderbare Mitternachtssonne vergönnt.

Über den Autor
Jochen Storbeck segelt seid 1991 mit der Petrine