Russische Arktis: Unberührte Natur, freundliche Menschen.
Sonntag, 13. Juli
Um 19.00 Uhr treffen die Russlandreisenden aus Deutschland und Mikhail Tigishkin, unser Dolmetscher und Reiseführer aus Petrozavodsk, in Kirkenes an Bord der Petrine ein. Nach Sicherheitseinweisung und Wacheinteilung legen wir um 21.20 Uhr bei strömendem regen ab. Norwegen macht uns also nach dem vielen Sonnenschein der vergangenen Tage den Abschied etwas leichter. Um 23.00 Uhr verlassen wir die diesigen Fjorde und bei frischem, achterlichen Nordwest können wir sogleich Segel setzen. Der Regen bleibt in den Fjorden zurueck.
Montag, 14. Juli
Um 4.30 Uhr überquert Petrine zum zweiten mal die norwegisch-russische Seegrenze. In strahlendem Sonnenschein, bei mal schwachem, mal frischem Nordwestwind segeln wir die Außenküste der Rybatschi-Halbinsel entlang. Reges Interesse von mehreren Küstenwachschiffen, einem U-Boot und den Küstenfunkstellen begeleitet uns. Es ist ein freundliches, höchstens teilweise ein dienstliches Interesse. Um 23.00 Uhr segeln wir in den Kol-Fjord. Nun sind es noch 25 Meilen bis Murmansk.
Dienstag, 15. Juli
In der Mitternachtsflaute werden ein paar Seelachse gefangen, dann starten wir die Maschine und nehmen einen Lotsen an Bord. Dieser führt uns sicher vorbei an den Städten Poljarnyi und Seweromorsk, vorbei an der imposanten russischen Atom-Eisbrecherflotte und um 10.30 hiesiger Zeit machen wir in Murmansk fest. Die Zoll- und Einreiseformalitäten dauern eine gute Stunde. Nun könen wir uns frei an Land bewegen. Heute ist es warm in Murmansk, 20 Grad, und nach all der Natur auch ungewohnt stickig. Um Mitternacht spiegelt sich die knallrote Sonne in den Fenstern der Plattenbauten. Diese Stadt schläft anscheinend im Sommer nicht: Überall sind Menschen auf den Straßen unterwegs.
Mittwoch, 16. Juli
30 Grad heiß wird es heute in Murmansk. Wir kaufen ein in der Stadt, vor allem reichlich Obst und Gemüse auf dem Markt. Um 21.30 Uhr kommt der Lotse an Bord und bei leichtem Gegenwind motoren wir aus dem Kolafjord heraus.
Donnerstag, 17. Juli
Um 2.00 Uhr fahren wir auf die Bartentssee hinaus eine Stunde später setzen wir in auffrischendem Nordwind die Segel. Im Sund zwischen Festland und der Insel Kildrin überraschen uns heftige Gewitterböen. Während wir noch Fock und Grossegel bergen, reisst das Besansegel auf 3 Meter Länge. In diesen Schauerbön, morgens um 5.00 Uhr, bei Sauwetter und schlechter Sicht, kommt uns eine Segelyacht entgegen. Der Murmansker Segelclub nutzt die kurze Sommersaison für eine kleine Regatta in der Barentssee. Nach Passage des Kildrinsundes klart es auf und bei leichtem Südwind setzen wir Segel, soweit sie ganz geblieben sind. Und wir nähen den Besan, der zum Glück entlang einer Naht gerissen ist. In den Abendstunden segeln wir wieder mit allen 7 Segeln und bei schöner ruhiger See vor der felsigen Fjordküste der Halbinsel Kola.
Freitag, 18. Juli
In den frühen Morgenstunden werden die ersten Belugawale gesehen, die uns in den kommenden Tagen häufig begleiten werden. Dank der ruhigen See sind die schneeweißen Walrücken und manchmal auch die Schnauzen gut zu erkennen. Den ganzen Tag segeln wir mit langsamer Fahrt. Vorbei an den Inseln Kharlov, Litiskiy und Vitte, vorbei an den Kaps Chernyy, Chegodajew und Swjatov Nos, vorbei an den Mündungen der Flüsse Rynda, Warzina und Iokanga. Die Sonne scheint und das Thermometer zeigt knapp über 10 Grad. Arktischer Sommer. Immer wieder schauen wir mit Ferngläsern in die Fjorde hinein und versuchen, Einzelheiten an der verbotenen Küste auszumachen. Umgekehrt werden wir immer wieder von neugierigen Kegelrobben beobachtet, die Kopf und Hals hoch aus der See recken.
Samstag, 19. Juli
Kurz nach Mitternacht verschwindet die Sonne knapp überm Horizont in einer nördliochen Wolkenbank. So bleibt uns heute die letzte Bestätigung erspart. Umfangreiche astronomische Berechnungen legen dennoch nahe: Wir haben das Land der Mitternachtssonne verlassen, dort im Norden verschwinden zumindest Teile der Sonne für ein bis zwei Stunden hinter der Kimm. Um 4.00 Uhr morgens schläft der Rest der Flaute ein. Wir bergen die Segel und fahren mit Maschine durch Sonnenschein und Windstille. Am frühen Nachmittag weht uns ein auffrischender Südwind entgegen. Mikhail nutzt widrige Winde und Gezeitenströme, um der Küstenwache zu verdeutlichen, dass wir die Ankerbucht bei Kap Tersko-Orlowski anlaufen müssen. Sie sind einverstanden! Landgang? Ebenfalls erlaubt! Um 16.20 fällt der Anker in der wunderschönen, felsigen, sonnigen Bucht. Vor 3 Jahren hatten wir hier Lachsfischer getroffen, deren Hütten jetzt verlassen am Hang auf der bunten, blühenden Blumenwiese stehen. Das Beiboot bringt alle an Land und wir entdecken auf ausgedehnten Spaziergängen Moose, Blumen und Flechten, Sandregenpfeiffer, Schneehuhn und Schwärme von Gryllteisten. Wir schlagen große Stücke Amethyst-Quarz aus den Granitfelsen. In einer Felsschlucht sprüht ein Wasserfall eisiges Schmelzwasser in die Sonnenstrahlen. Es glitzert, glänzt und funkelt und quer durch die Bucht schwebt ein Regenbogen. Satt von solchen Bildern und der Ruhe in der endlosen Tundra kehren bis 22.00 Uhr alle wohlbehalten an Bord der Petrine zurück. Einige besonders vorwitzige Wanderer hatten den Kommandanten des nahegelegenen Militärstützpunktes mit vorgehaltener Videokamera in seiner Haustür erschreckt. Nach der ersten Überraschung – die Küstenwache hatte ihm nichts vom ankernden Segelschiff erzählt – lud er sie zum Kaffee ein und begleitete sie dann zurück zur Bucht, um sich vor Ort im klärenden Gespräch mit dem Kapitän von unseren Absichten zu überzeugen: Die Arme des Kommandanten wedeln fragend in mehrere Richtungen. Kapitän: „Arkhangelsk!“. Kommandant freut sich: „Karascho!“ Kapitän übersetzt Redeschwall und Lächeln des Kommandanten mit „Gute Reise!“ und wünscht seinerseits „Gute Wache!“ Dann stapft der Kommandant den Felshang hinauf und der Kapitän schliddert übern Seetang zu seinem Beiboot zurück.
Sonntag, 20. Juli
Keine Wolke am nördlichen Himmel. Was gestern noch schamhaft verhüllt wurde, was wochenlang nicht geschah und uns irgendwann auch als Gedanke nicht mehr beschäftigte, vollzieht sich jetzt vor aller Augen, deutlich sichtbar und nicht zu leugnen: Die Sonne geht unter. Gott sei dank geht sie um 2.00 Uhr wieder auf. Nach langem Sonntagsmorgenfrühstück gehen wir um 12.00 Uhr bei günstiger Tide Anker auf und segeln mit Südwestwind aus der unvergesslichen Tersko-Orlowski-Bucht. Südwärts kreuzen wir gegen auffrischenden Wind zur Mündung des Flusses Ponoy. Unaufgefordert kommt die Erlaubnis der Küstenwache, in der Mündung des Flusses bei der dortigen Militärstation festzumachen. Aber bei diesen Windverhältnissen ist es leider unmöglich, die Fahrrinne durch die vorgelagerte Barre zu finden. Stattdessen wollen wir hoch am Wind mit Kurs Südost über die Orlovskaja-Salma, die Meerenge zwischen Barentssee und Weißem Meer, zur Bucht von Mezen segeln. 40 Meilen und im Laufe des Nachmittags bläst der Südwestwind mit 6 bis 7 Beaufort. Um 18.35 Uhr fliegt uns das Großegel um die Ohren. Das Schothorn ist irreparabel gerissen, aber als gerefftes Segel können wir das Groß sogleich wieder setzen. Durch Schaden klug geworden, reffen wir auch den Besan. Trotzdem reisst er eine Stunde später am Reff-Schothorn auf 50 cm Länge. Sofort wird er geborgen und mit gerefftem Groß und Fock laufen wir hoch am Wind mit 6 Knoten auf den Windschutz an der Abramowski-Küste zu.
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Montag, 21. Juli
Um 1.35 fällt der Anker auf 10 Meter Wassertiefe vor der 20 Meter hohen Steilküste des menschenleeren Abramowski Bereg. 42 Grad 25 Minuten östlicher Länge, derselbe Längengrad wie Bagdad. Wir gehen keine Ankerwache, sondern die Deckswachen arbeiten weiter bis zum Frühstück. Auf den Besan wird ein großzügiger Flicken genäht. Ein neues Großsegel wird angeschlagen. Bis zum Frühstück sind alle Segel wieder klar, das alte Großsegel weggestaut, der verwüstete Salon aufgeklart und Butter-Mohnzopf gebacken. Mittlerweile weht es mit Sturmstärke, die ganze See ist weiß und an Deck kann man sich nur mühsam verständigen. An Weitersegeln ist nicht zu denken; außer der Ankerwache verziehen sich alle in die Kojen. Um 13.00 Uhr hat der Sturm abgeflaut. Barometer und aufziehender Nebel verheißen ruhigeres Wetter. Wir gehen Anker auf und verlassen den östlichsten Ankerplatz, den die Petrine je gesehen hat. Die Küste bleibt unerforscht und rätselhaft, denn im Sturm war an Landgang nicht zu denken. Ein gewaltig breiter, endlos langer Sandstrand, ein überaus aktives Kliff, das Hochland von Moosen und Flechten bewachsen. Hier wohnen die Nenets, Tundranomaden, die jagen und Rentiere züchten. In regelmäßigen Abständen von mehreren Kilometern stehen kleine Jagdhütten auf dem Kliff. Mikhail sagt, sie seien transportabel gebaut und könnten jeden Herbst vor dem abstürzenden Kliff weiter landeinwärts getragen werden.
Wir setzen alle Segel und machen 3 bis 4 Knoten Fahrt auf Südwestkurs. Sehr ruhige Fahrt bei sehr ruhiger See.
Dienstag, 22. Juli
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Werner! Werner Laube wird heute 59 und kriegt die Hundewache von Mitternacht bis 4 Uhr frei, damit wir das zerrissene Segeltuch für ihn bemalen können. Bis zum Frühstück werden Brötchen und Kuchen gebacken und der Salon festlich geschmückt. Den ganzen Tag segeln wir unter vollen Segeln und mit rauschender Fahrt den Zimnaya Bereg (Winterküste) entlang. Als die Sicht besser wird, bietet die Küste einen ungewohnten Anblick: Bäume! Südlich des Polarkreises haben wir also die Baumgrenze überquert und an Land zeigt sich endloser Fichtenwald. Taigavegetation, unterbrochen von kleinen Holzhausdörfern an den Mündungen der Flüsse. Um 19.00 Uhr gehen wir vor der Nordansteuerung des Dwinadeltas zu Anker. Das Echolot zeigt 18 Grad Wassertemperatur. Süßwasser! Nach einer Woche verschärften Wassersparens springen viele ins moorbraune Wasser, sichern sich an einer Leine und lassen sich vom frischen, stark strömenden Wasser sauberspülen. Um 21.15 Uhr kommt der Lotse für Arkhangelsk an Bord, schon reichlich schief geladen. Nach kurzer Zeit entdeckt er unseren Biervorrat, leert zügig Flasche auf Flasche und lotst uns sicher das Delta der Sewernaja Dwina hinauf, obwohl seine Knie gelegentlich den Dienst versagen. Schilfinseln, Fichtenwälder und Holzhäuser säumen das Ufer. In der Dämmerung wird Heu auf Flöße verladen.
Mittwoch, 23. Juli
Um 1.00 Uhr ist Petrine fest in Arkhangelsk an einer Verladepier für Frachtschiffe, 30 km vom Stadtzentrum entfernt, von Millionen Mücken umschwärmt. Küstenwache, Grenzpolzei und Hafenbehörde warten schon und bleiben unbeeindruckt, als der Lotse an ihnen vorbei an Land getragen wird. Eine Stunde später sind alle Formalitäten erledigt und, was noch wichtiger ist, das Schiff mit Räucherspiralen und Moskitonetzen einigermassen mückensicher gemacht. Um 10.30 Uhr kommt ein gut gelaunter, freundlicher, perfekt englischsprechender, kompetenter Lotse an Bord. Dank Mikhails Bemühungen bekommen wir einen Liegeplatz im Stadtzentrum! Wir tuckern in feinstem Sonnenschein, Temperatur um 20 Grad, das Dwinadelta flussaufwärts. An den Ufern Sägewerke aus allen Jahrzehnten und Jahrhunderten, auf dem Fluss riesige Felder von geflößten Fichtenstämmen, auf denen die Flößer solide Hütten gebaut haben. Immer wieder sehen wir kleine Siedlungen am Ufer, Holzhäuser auf blumenübersäten Wiesen. Manche Holzhäuser sind so schön, dass man sofort dort wohnen möchte, manche sind so verfallen, dass sie als Stall nicht mehr zu gebrauchen wären. Seit vielen Jahrhunderten werden hier riesige Mengen Holz gesägt. Die Abfälle der Sägewerke, unbrauchbare Stämme, Sägemehl vor allem, Holzpiers und Holzstapel, sind an den Uferabbrüchen wie Sedimentschichten erkennbar und geben offenbar einen ausgezeichneten Boden für Gartenbau ab. Um 13.30 Uhr machen wir an der Uferpromenade von Arkhangelsk fest. heute ist ein sehr warmer Sommersonnenurlaubstag. Die Parks der Stadt und die Uferpromenade sind voller Menschen und unternehmungslustig gesellen wir uns hinzu.
24. Juli, Donnerstag
Heute ist es brüllend heiß in Arkhangelsk, knapp 30 Grad. Vormittags werden wir von einer ortskundigen, bestens deutsch sprechenden Professorin durch die Stadtgeschichte und zu den Sehenswürdigkeiten geführt. Arkhangelsk ist im Gegensatz zu Murmansk eine gewachsene Stadt mit teilweise historischer Bausubstanz, „berühmten Söhnen“ und Wurzeln, die über 1000 Jahre zurückreichen. Das schönste aber ist die Lage der Stadt: Im Rücken die endlosen Taigawälder, voraus die schilfumrankten Wieseninseln im Dwinadelta. Abends um halb 10 verlassen wir mit viel Gewinke den gastlichen Liegeplatz. Unser Lotse ist 70 Jahre alt, segelt in seiner Freizeit und ist überhaupt Seebär durch und durch. Stolz erzählt er, wie er vor 3 Jahren mit der Sedov, dem größten Segelschiff der Welt, bis 50 Meter vor die Pier gesegelt ist. Wir lassen uns nicht lange bitten und setzen bei minimalem Wind alle Segel. Bei 2 Knoten Fahrt springt der Lotse munter hin und her, zerrt an den Schoten und zwingt über Funk den entgegenkommenden Verkehr zu ungewöhnlichen Manövern, damit wir im Hauptfahrwasser optimalen Kurs auf der Gegenspur halten können.
25. Juli, Freitag
Um 4.00 Uhr verabschiedet sich unser Lotse, freudestrahlend und mit glänzenden Augen. Wir tuckern ein paar Stunden bei Sonnenschein gegen leichten Westwind. Nach dem Frühstück werden wieder alle Segel gesetzt und bei langsamer Fahrt, strahlend blauem Himmel und wärmender Sonne verleben wir einen richtig entspannten Urlaubstag mit ausgiebigen Badepausen.
26. Juli, Samstag
Auch durch die taghelle Nacht können wir segeln, hoch am Wind und mit zunehmender Fahrt. Die Sonne verschwindet inzwischen für 4 Stunden unter dem Horizont, aber dunkel wird es deswegen nicht. Vormittags können wir die Höhe nicht mehr laufen und fahren mit Maschine zu einer karibikblauen Ankerbucht, umgeben von Sandstrand und Dünen. Auf der Klosterinsel Anzerski sind Touristen eigentlich unerwünscht, aber dank Mikhails freundlichem Auftreten bei den Mönchen dürfen wir die Klosterruinen besichtigen, mit deren Wiederaufbau die Mönche vor 3 Jahren begonnen haben. Anzerski war in den dreißiger Jahren Teil des Konzentrationslagers auf den Solowetzki-Inseln. Viele tausend tote Gefangene wurden ringsum im Wald verscharrt; schon bei der Gartenarbeit stossen die Mönche auf menschliche Knochen. Nach Ende der Stalinzeit und Auflösung des Lagers waren alle Gebäude zerstört und die Inseln unbewohnt. 1999 gründete die orthodoxe Kirche das Kloster neu und begann mit dem Wiederaufbau. In 3 Jahren haben 10 Mönche und viele Helfer bereits beeindruckendes geleistet. Die ganze Insel mit ihrer wunderschönen Natur, den zauberhaften Seen und Wäldern und den vielen Sakralbauten ist wie von einem Zauber erfüllt. Wir laufen lange durch den Wald auf kaum erkennbaren Pfaden und bis nach Mitternacht brennt ein munteres Lagerfeuer am Strand. Treibholz liegt hier überall herum.
27. Juli, Sonntag
Um 2.15 Uhr gehen wir Anker auf, segeln und motoren durch Nacht- und Morgenstunden bis wir um 9.00 Uhr direkt vor dem 500 Jahre alten Solowetzki-Kloster festmachen. Was für ein Anblick: Meterdicke Festungsmauern um einen riesigen Gebäudekomplex mit vielen Kirchen und Wohngebäuden über denen zahlreiche schindelgedeckte Zwiebeltürmchen in den strahlend blauen Himmel ragen. Es wird ein herrlicher Sommer-Sonnentag mit umfangreichem Kultur- und Badeprogramm. Den Abend verbringen wir in einer Sauna mitten im Wald. Sauna und Badesteg sind ständig belegt und zur Abkühlung lassen wir uns in einen kleinen Waldsee fallen.
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28. Juli, Montag
Um Mittag legen wir ab und unter Maschine legen wir die letzten 40 Meilen übers windstille Weiße Meer zurück. Morgens um 9.30 Uhr fährt Petrine zum zweiten mal in die Seeschleuse des Onego-Weißmeer-Kanals ein. Im Kanal machen wir vor dem Büro fest und erhalten denkbar schlechte Nachrichten: Es ist kein Lotse für uns verfügbar, vorläufig müssen wir hierbleiben. Wir erledigen erstmal ein paar nützliche Dinge, wie Wäschewaschen und Deckspülen mit Süßwasser, überdenken derweil unsere Lage und planen den morgigen Ausflug zu den einmaligen Felszeichnungen von Salawruga.
29. Juli, Dienstag
Nach dem Frühstück fährt fast die ganze Gruppe mit umfangreicher Ausrüstung zur Dokumentation zu den Felszeichnungen. Am Nachmittag wird eine kreative Lösung des Lotsenproblems gefunden: Morgen früh um 7 Uhr soll es losegehen. Wenn keine technischen Probleme auftauchen. Die Eisenbahnbrücke über den Kanal, die uns bereits im Jahr 2000 wegen Starkwind aufgehalten hat, kann nämlich bei Temperaturen über 25 Grad nicht öffnen. Heute ist es brüllend heiß in Belomorsk, 30 Grad etwa, und für morgen verspricht der Wetterbericht das Gleiche.
30. Juli, Mittwoch
Ein wunderschöner sonniger Morgen, das Schiff ist über die Toppen geflaggt, an Bord wird gesungen und gestrahlt, denn heute hat der Kaeptn Geburtstag. Nach dem festlichen Frühstück gibt’s auch Glückwünsche von der Kanalbehörde und als ganz besonderes Geschenk öffnet die Eisenbahnbrücke heute für uns. Die Reise kann also weitergehen, was bis gestern nachmittag absolut nicht so aussah! In brüllender Hitze schleusen wir uns höher und höher den Wyg-Fluss hinauf. Nachmittags machen wir eine Pause für Kaffee und Kuchen und vor allem zum ausgiebigen Baden. Selbst das Wasser hat 25 Grad. Abends suchen wir uns ein gemütliches Plätzchen auf einer kleinen Insel zum Grillen und Feuermachen. Das Feuer brennt bereits, Essen und Getränke sind bereits auf die Insel geschafft, da haben wir die Idee, mit der Petrine noch ein wenig näher an die Insel heranzufahren. Keine 10 Minuten sind wir unterwegs, da laufen wir auf Grund. Bei dem warmen Wasser ist das erkunden der näheren Umgebung ja kein Problem und bald wird klar, dass wir eine Chance haben, aus eigener Kraft freizukommen. Ein Anker wird ausgebracht mit 50 Meter Kette, das Grossegel wird gesetzt und Mikhail und der Käptn räumen den Seeboden auf: Alle gefährlichen Steine werden aus dem Schraubenbereich weggeräumt. Nach dreieinhalb Stunden ist die Petrine wieder frei von allen Untiefen. Es ist kurz vor Mitternacht, alles Fleisch auf der Insel wurde, soweit nicht aufgegessen, fertig gegrillt auf heißen Steinen. So endet der schöne Geburtstag nach erfolgreicher Arbeit mit einem gemütlichen Festessen an Deck.
31. Juli, Donnerstag
Leider kommt der Wind heute wieder hartnäckig von vorne und wir können nicht segeln. Mittags machen wir eine Pause in Nadwojice am nördlichen Ufer des Wyg-Sees. Die Stadt hat teilweise mediterranes Flair mit schöner Architektur, teilweise stehen Plattenbauten übelster Sorte rings um eine Aluminiumhütte gleicher Qualität. Abends auf dem Wyg-See kommt es zum größten Treffen traditioneller Segelschiffe in der Geschichte des Weißmeerkanals: Drei karelische Lodyas und ein Segelschiff aus dem östlichen Mittelmeer kommen uns entgegen und wir gehen alle längsseits zum wechselseitigen Besichtigen. Nach einer turbulenten Stunde löst sich die Versammlung wieder auf und die Petrine knattert weiter südwärts über den völlig windstillen Wyg-See, auf dem sich doch sonst so schön segeln ließe. Um 23.30 fällt der Anker am südlichen Seeufer.
1. August, Freitag
Während der morgendlichen Fahrt durch die Terekinka, zeigt uns Lotse Vladimir die Überreste des größten Lagers für die Gefangenen, die zum Bau des Kanals aus allen Teilen der Sowjetunion herangeschafft wurden. Allein hier in der Gegend liegen etwa 30.000 Menschen im Wald verscharrt. Insgesamt verhungerten und erfroren beim Bau des Weißmeerkanals in anderthalb Jahren 100.000 Menschen. Wer die Tagesnorm nicht schaffte, bekam abends nichts zu essen und schaffte so natürlich auch am kommenden Tag nicht die Arbeitsnorm.
Nach dem mittäglichen Bad in warmem Seewasser, bei Lufttemperatur über 30 Grad, beschließen wir, heute noch alle Schleusen bis herunter zum Onegosee zu durchfahren. Um 23.00 Uhr schwimmt Petrine im zweitgrößten europäischen Binnensee. Wir machen kurz im Hafen von Povenets fest, um Diesel zu bunkern.
2. August, Samstag
Gleich nach Mitternacht geht’s weiter, südwärts über den windstillen Onego. Bei brüllender Hitze machen wir mittags auf der Insel Kizhi fest, einst Zentrum eines wohlhabenden Inselarchipels, heute Freilichtmuseum und wichtigste Touristenattraktion in ganz Karelien. Jeden Tag kommen 5 bis 10 Hotelschiffe aus St. Petersburg und Moskau hier an. Trotz dieses Rummels, der sich glücklicherweise auf die Südspitze der Insel beschränkt, gibt es wunderschöne Dörfchen, Badestrände und blühende Wiesen auf der ganze Insel. Wir bleiben bis zum Abend, dann tuckern wir südwärts durch die schärenartige Inselwelt. Es ist nun beinahe eine Woche, seitdem wir zuletzt Gelegenheit zum Segeln hatten.
3. August, Sonntag
Morgens um 3.30 Uhr machen wir in Petrozavodsk fest, Hauptstadt der Republik Karelien und Heimatstadt für mehr als die Hälfte der Bevölkerung Kareliens: 240.000 Menschen wohnen in der Stadt. Heute ist Sonntag, Hochsommer, und der wunderbare Onego lädt zum Baden ein.
Montag, 4. August
Den Tag in der Stadt nutzen wir für Besorgungen und Erledigungen aller Art. Abends gibt es einige unerfreuliche Besprechungen an Bord über das Lotsenthema und warum denn nun in Belomorsk kein Lotse für uns verfügbar war. Alles endet damit, dass wir um 22.30 Uhr ohne Lotsen ablegen und auf den Onegosee hinausfahren.
Dienstag, 5. August
Gleich nach Mitternacht setzen wir die Segel und mit achterlicher Brise geht es dem Ziel Bessow Nos entgegen. Bessow Nos ist ein Kap am Ostufer des Onego, inmitten endloser Wälder, mit einem alten Leuchtturm und vor allem mit vielen Felszeichnungen aus der Steinzeit, die hervorragend erhalten geblieben sind. Um 9.30 fällt dort der Anker, nah genug am Sandstrand, weit genug weg von den Mücken. Ab mittags sind alle an Land beschäftigt. Viele reiben die Felsbilder mit Grafit auf Zeitungspapier, andere wandern durch die Wälder, baden am Strand, liegen in der Sonne oder tun sich an den Blaubeeren gütlich. Am Abend machen wir ein Feuerchen am Strand und braten Fleisch und Gemüse auf heißen Steinen.
Mittwoch, 6. August
Am frühen Morgen startet eine Gruppe mit dem Beiboot zu einer Expedition zum Schwarzen Fluss. 30 Kilometer flussauf wohnt ein Freund, der sie vor 8 Jahren beherbergt und vom Dorf zum Kap geführt hat. Gegen Mittag erreichen sie das Dorf Karschewo, aber der Freund ist vor 3 Jahren gestorben. Seine Witwe erinnert sich an die Geschichte mit den Fremden, die über Nacht blieben und zu den Felsbildern wollten. Nach einem Besuch auf dem Friedhof sind alle bis abends wieder zurück an Bord der Petrine. Um 23.30 Uhr enden 2 wunderschöne Sommerurlaubstage am Kap Bessow Nos. Wir setzen Segel und hoch am Wind geht es südwärts über den Onego.
Donnerstag, 7. August
Nach einem sonnigen, nicht mehr ganz so heissen Segeltag machen wir um 17.40 Uhr in Vosnesene fest. Hier fließt der Swir aus dem Onego heraus und windet sich südwestwärts auf den Ladogasee zu. Hier sollte nun ein Lotse an Bord kommen, aber erstmal ist keiner zu finden. Spät am Abend steht fest: Der Lotse hat den Bus verpasst und sitzt irgendwo zwischen Petersburg und Vosnesene fest. Wir beschließen, ihn mit dem Taxi abzuholen, damit die Reise weitergehen kann.
Freitag, 8. August
Um 4.00 Uhr morgens kommt der Lotse an Bord, leider ohne Funkgerät und Seekarten. Niemand hatte ihm gesagt, dass er diese mitbringen sollte. So bleiben wir einen Tag und lernen ein sehr schönes russisches Dorf kennen. Liebevoll gepflegte Häuschen mit Gärten, sehr schön gelegen am Ufer des Flusses und am Onegosee. Um 20.00 Uhr sind Karten und Funke aus Petersburg eingetroffen. Wir legen ab und tuckern durch die Nacht auf dem Swir stromabwärts. Der viele Schiffsverkehr im engen gewundenen Fahrwasser sorgt dafür, dass uns nicht langweilig wird.
Samstag, 9. August
Um 5.00 Uhr ankern wir vor der Schleuse von Podporozhe und warten auf die gebuchte Brückenpassage um 10.00 Uhr. Um 8.00 gehen wir Anker auf, werden durchgeschleust und erhalten Order, erneut vor Anker zu gehen. Um 10.20 sollen wir wieder Anker auf gehen und warten, bis die Brücke für uns öffnet. Nach einer Stunde kommt die Anweisung, mit Vollgas flussabwärts zu fahren, da die Brücke bereits warte. Um 11.25 unterqueren wir unter allgemeinem Jubel die Eisenbahnbrücke in Podporozhe und fahren weiter auf dem Swir. Um 14.40 Uhr machen wir fest vor einer weiteren Schleuse, denn die dahinterliegende Eisenbahnbrücke wird erst morgen für uns öffnen.
Sonntag, 10. August
Heute erwartet uns ein ausgiebiges Frühstück im geschmückten Salon, denn Susanne hat heute Geburtstag. Nach Brötchen, Kuchen und Gesang haben wir noch viel Zeit bis zum Ablegen, denn es wiederholt sich die Brückenprozedur vom Vortag. Ab 12.30 Uhr geht es weiter den Swirfluss hinab, der sich malerisch durch die bewaldete Hügellandschaft windet und viele schöne Dörfchen erfreuen unsere Augen. Um 20.00 Uhr erreichen wir den Ladogasee und können dort alle Segel setzen. Durch sternenklare Nacht segeln wir mit 5 bis 7 Knoten Fahrt, abseits der Schiffahrtsstrasse und diese Nacht entschädigt für viele ungeöffnete Brücken.
Montag, 11. August
Um 11.30 Uhr fahren wir in die Newa, die vom Ladogasee zur Ostsee fließt. Bei starker mitlaufender Strömung passieren wir die Festung Schlüsselburg. Dann müssen wir am Flussufer festmachen, denn die Strassenbrücke öffnet montags nicht. Macht nicht so viel, einige nutzen den Tag zur Erholung, viele fahren mit dem Bus ins 30 km entfernte Sankt Petersburg, andere besichtigen die Festung.
Dienstag, 12. August
Ab 7.00 Uhr sind wir ablegeklar, um die Straßenbrücke zu passieren. Wir sollen warten und beinahe alle verlassen das Schiff, um mit dem Bus nach Petersburg zufahren und den Tag dort zu verbringen. Um 7.50 Uhr heißt es, die Brücke könne heute leider nicht öffnen. Unser Lotse fängt hektisch an zu telefonieren und meint, wir sollten trotzdem ablegen und zur Brücke fahren. Hinter der nächsten Flussbiegung sehen wir eine hochgeöffnete Brücke, mit kilometerlangen Staus zu beiden Seiten und können ohne Schwierigkeiten passieren. Niemand hatte uns informiert. Wir ankern bis zum frühen Nachmittag, passieren dann komplikationslos eine Eisenbahnbrücke und die Stromschnellen der Newa bei Iwanowski. Um 16.30 Uhr ankern wir vor den Brücken von Sankt Petersburg, die nachts ab 2.00 Uhr für den durchfahrenden Schiffsverkehr geöffnet werden.
Mittwoch, 13. August
Nachts um 1.30 Uhr beginnt unsere Durchfahrt durch die Brücken von Petersburg. Etwa 25 Frachtschiffe in jeder Richtung müssen in 3 Stunden die 8 geöffneten Brücken passieren. Bei starkem mitlaufenden Strom sausen wir mit bis zu 9 Knoten durch die hell beleuchtete Millionenstadt. Eine Brücke ist schöner als die andere, alle öffnen pünktlich auf die Minute und super professionell werden alle Passagen und Überholmanöver der 50 beteiligten Schiffe vereinbart. Um 3.30 Uhr passieren wir den Winterpalast und die Peter-Paul-Festung. Kurz vor 4.00 Uhr machen wir in der Großen Newa gleich hinter der Leutnant-Schmidt-Brücke fest. Den Tag verbringen alle in der Stadt verbringen und um 19.00 Uhr ist Termin mit dem Zoll. Das zieht sich alles bis 22.30 Uhr hin mit der Begründung, um 21.00 sei Schichtwechsel. Dann verlassen wir St. Petersburg und Russland mit Kurs West.
Donnerstag, 14. August
Nachts passieren wir die Festungsinsel Kronstadt bei dichtem Schiffsverkehr in engem Fahrwasser. Morgens können wir alle Segel setzen und zum Abschied gibt es einen herrlichen, entspannten Segeltag vor dem Wind. Wir passieren etliche russische Inseln und um 19.00 Uhr verlassen wir die russischen Hoheitsgewässer, manche mit Wehmut, aber dem Käptn fallen mehrere Steine vom Herzen.
Freitag, 15. August
Im ersten Morgengrauen um 5.00 Uhr legen wir vor Helsinki auf der Schäre Suomenlinna an. Uns empfaengt ein freundlicher Grenzer, leise Klaviermusik aus einem der Häuser und ein prächtiger Sonnenaufgang. Um 12.00 Uhr verholen wir ins Zentrum und alle schwärmen aus in die Stadt.