Die Ostsee (12. August 2000 – 2. September 2000)
Montag, 14. August
Wir teilen die Wachen ein, dann Sicherheitseinwei-
sung. 10.30 Uhr Los beim Jachthafen, Diesel bunkern im Petrowski-Kanal, weiter zur Festung Kronstadt, wo wir um 15.00 Uhr zum Ausklarieren beim Zoll festmachen. Wir bleiben ein paar Stündchen liegen, hoffen, der Westwind möge abflauen. Zoll und Ausreise klappt ohne Probleme, der Westwind allerdings weht nimmermüde. Trotzdem legen wir um 19.00 Uhr ab. Ziel Helsinki oder Tallinn, je nach Wind.
Dienstag, 15. August
11.00 Uhr Immer noch Westwind, wir setzen Segel und gehen auf Kurs SSW. Um 15.00 Uhr kommt die russische Küstenwache längsseits. Sie verstehen nicht, warum wir nicht direkt nach Helsinki fahren. Da der Wind sowieso abgeflaut hat, bergen wir die Segel und tuckern erstmal aus russischen Gewässern raus.
18.00 Uhr In estnischen Gewässern setzen wir alle Segel und eine sanfte Brise aus Südost schiebt uns westwärts. Endlich wieder Segeln auf einem richtigen Meer!
Mittwoch, 16. August
Im Laufe der Nacht hat der Wind auf Südwest gedreht, ist aber dankenswerterweise schön beständig geblieben und so können wir morgens im Frühdunst durch die Schären bis nach Helsinki rein segeln. Wir machen um 9.00 Uhr in Helsinki fest. Die Sonne kommt durch, der Tag wird schön.
19.00 Uhr Ablegen in Helsinki, wir wollen westwärts durch die Schären. Spät abends (in der Dunkelheit, ganz was Neues!) heizen wir in den Schären die Sauna.
Donnerstag, 17. August
Unsere Segelversuche scheitern am westlichen Wind und an vorbeiziehenden Gewittern. So tuckern wir ein wenig westwärts und machen um 16.00 Uhr an einer schönen, felsigen Schäre fest. Aussteigen über den Bugspriet, Blaubeeren sammeln, an Flechten, Moosen und Birken riechen, Gaffelspringen bis spät in den Abend.
Freitag, 18. August
Nun sind wir auf der Lauer für günstigen Wind nach Estland, sieht aber vorläufig schlecht aus. Wir geniessen also die Schärenküste, machen zwischendurch in 2 kleinen Häfen fest. Nachmittags und abends kreuzen wir sportlich zwischen den Felsen umher bis wir um 22.00 Uhr kurz vor Hanko zu Anker gehen.
Samstag, 19. August
7.00 Uhr Anker auf, wir wollen nach Hanko zum Ausklarieren.
9.00 Uhr Fertig ausklariert, ablegen mit Ziel Estland! Wir segeln den ganzen sonnigen Tag hoch am frischen Westwind nach Süden. Richtig schöne See-Segelei bei anderthalb Meter hohen Wellen, ohne ernsthaft Seekranke an Bord. Wir können segeln bis in den Hafen von Haapsalu, wo wir um 20.00 Uhr festmachen. Die Sonne scheint, es ist warm, das Essen steht auf dem Tisch, die berühmte Hafensauna von Haapsalu ist bereits bestellt!
Sonntag, 20. August
Heute ist der 9. Jahrestag der Unabhängigkeit Estlands, überall ist geflaggt. Wir freuen uns mit und alle verbringen den sonnigen, warmen Tag ganz unabhängig von der Gruppe. Einige fahren nach Tallinn, einige besichtigen Haapsalu, einige bleiben auf dem Schiff. Abends grillen wir, von einem Blechdach vor dem strömenden, prasselnden Regen geschützt.
Montag, 21. August
Es hat sich über Nacht ausgeregnet. 10.00 Uhr Los in Haapsalu, wir kreuzen gegen den frischen Westwind auf die Insel Hiumaa zu. 18.00 sind wir fest in Lehtma. Ein sportlicher Segeltag, ein gemütlicher Abend am Lagerfeuer, windgeschützt in den Dünen beim Hafen.
Dienstag, 22. August
Heute fahren wir mit dem Bus über Hiumaa. Wir freuen uns an der schönen Landschaft, an Nadelwäldern mit sehr vielen Pilzen und inzwischen wenigen Beeren, wir freuen uns über ein Bad im Meer bei Sonnenschein und über den Ausblick vom ältesten Leuchtturm der Ostsee.
20.00 Uhr Leinen los in Lehtma. Wir haben ausklariert und unser Ziel ist Visby auf Gotland!
Mittwoch, 23. August
Um Mitternacht setzen wir Segel nordwestlich von Hiiumaa und können den ganzen Tag Hoch am Wind mehr oder weniger nach Südwesten segeln. Mittlerweile sind viele Hoch-am-Wind-Rudergänger-Profis unter uns, denn achterlichen Wind hatten wir auf der ganzen Fahrt noch nicht.
Der ganze Tag ist sonnig, mäßig bewegte See, keine Kranken an Bord, ein richtig schöner Segeltag. Leider erreichen wir nur die Ostküste von Gotland und so werden um Mitternacht die Segel geborgen, wir wollen schließlich nach Visby.
Donnerstag, 24. August
Unter Maschine fahren wir durch den Faarösund und dann nördlich von Gotland gen Westen. Um 05.00 Uhr werden die Segel gesetzt und wir laufen wieder mal Hoch am Wind. Wir müssen kreuzen und außerdem geht die See inzwischen bis 3 Meter hoch. Alles nicht mehr so einfach.
Um 10.50 Uhr bricht in einer Schauerböe der Besanbaum. Niemand verletzt, keine Weiteren Schäden, Bereits eine Viertelstunde später ist der gereffte Besan wieder gesetzt, denn der Baum ist sehr weit achtern gebrochen.
Um 14.00 machen wir in Visby fest. In einer der schönsten Städte Nordeuropas, leider im strömenden Regen und leider mit einer Liste von notwendigen Reperaturen. Nicht nur der Besanbaum muß neugebaut werden, auch die Segel bedürfen der Nähmaschine. Der guten Stimmung tut das aber keinen Abbruch, alle wohlauf an Bord.
Freitag, 25. August und Samstag, 26. August
„Ich nähme die Flügel der Morgenröte und baute mir eine Wohnung zuäußerst im Meer“, so träumt es Pelle in „Ferien auf Saltkrokan“. Wir verstehen seinen Wunsch sehr gut, denn wir sind mit der Petrine unterwegs, wir wohnen auf der Petrine, zuäußerst im Meer.
So träumen wir dann von einer Stadt, in der unsere Wohnung liegen soll, einer Stadt zuäußerst im Meer. Auf festen Fels gebaut, an einem Hang gelegen, dass man von jedem Platz und von jedem Haus der Stadt das Meer vor Augen habe. Winkelig und eng seien die Gassen der Stadt, dass niemand auf den Gedanken käme, sich anders als langsam und bedächtig darin zu bewegen. So eng die Gassen auch seien, es pflanzte doch jeder Bewohner Blumen darin, Rosen vorzugsweise, die gemeinsam mit den glänzenden roten Dächern der Häuser einen dem Auge ganz wohlgefälligen Kontrast zum ewig blauen Himmel formten. Zum Bau der Häuser fänden vorzugsweise die reichlich vorhandenen Natursteine und Holz Verwendung, bei den Farben achtete man darauf, dass sie sich harmonisch ins Ganze einfügten. Ein jeder pflegte und kümmerte sich unablässig um Haus und Garten und leistete seinen Beitrag zur Schönheit der ganzen Stadt. Geriete ein bedeutendes Haus in Verfall, eine Kirche oder Kathedrale zumal, würde sie gar unwiderbringlich zerstört, wir rissen sie nicht ab, wir pflegten die Ruinen, nutzten sie für Theater, Musik und Cafes und alle Besucher staunten über solch schöne und erhabene Ruinen, Zeugen vergangener Größe und Träume. Dass ein jeder sehe, wo die Stadt zuende sei, träumten wir uns eine hohe Mauer um Häuser, Gassen, Rosen und Ruinen, liessen Tore ein, dass man uns besuchen könne und pflegten und gestalteten auch diese Mauer in einer Art, dass sich allerlei Pflanzen und Vögel darin wohlfühlten. Wir liessen auch ein wenig Platz in unserer Stadt für einen großen Garten, der allen Bewohnern und Besuchern zugänglich sei. Wir sammelten auf unseren Reisen Planzen aus aller Welt für diesen Garten, wir legten einen Teich dort an durch den ein Bächlein fließe und die Freude der Besucher des Gartens nähme kein Ende.
Natürlich legten wir auch einen großen Hafen an, dass die Gassen in unserer Stadt ein Ziel hätten und in diesem Hafen läge dann, zuäußerst im Meer: die Petrine. Damit niemand bedrängt und geängstigt würde, so soll ein jeder nach seiner Weise (skandinavisch: „vis“) in dieser Stadt (skandinavisch: „by“) leben und so hieße sie „Visby“ und läge in einem guten Land, das hieße dann „Gotland“ und sei eine große Insel, weit draußen im Meer.
Nun stellt Euch mal vor, wir wachen morgens auf, treten an Deck und es ist tatsächlich alles so, wie wir es uns erträumt hatten! Dazu scheint die Sonne, der Himmel ist geradezu schmerzhaft blau, kein Wind treibt uns fort, da bleiben wir gleich ein paar Tage.
Ach ja, damit uns nicht vor lauter Schönheit und Gemütlichkeit langweilig wird, nähen wir die Segel, streichen das Deckshaus und bestellen beim Bootsbauer auf Usedom einen neuen Besanbaum, denn auf Gotland gibts kein geeignetes Holz. Das hatten wir wohl vergessen zu träumen…
Sonntag, 27. August
9.30 Uhr Sonne, wolkenlos, ein leichter Ostwind weht, ein Schiff ist nicht nur für den Hafen da, und wenn die Stadt auch ein Traum ist: Los in Visby. Wir segeln den ganzen Tag, erst Hoch am Wind, dann tatsächlich bei halbem Wind unter vollen Segeln (Besan gerefft plus Topsegel) auf die Nordspitze Ölands zu, wo der Lange Erik nach uns Ausschau hält. Der Lange Erik ist ein besonders schöner und berühmter Leuchtturm. Wir grüßen ihn um 19.00 Uhr Backbord querab und segeln weiter auf die Schären zu.
21.30 Uhr passieren wir die unnahbare Blaue Jungfrau, ein unzugänglicher Felsen im nördlichen Kalmarsund, herrlich anzuschauen, ohne Hafen oder passablen Ankerplatz, sodass auch wir nicht bei ihr landen können.
Um 23.20 Uhr fällt der Anker in den Schären südlich von Oskarshamn. Falls jemand meint, dass sei eine tolle Leistung, im Dunkeln in die Schären reinzusegeln: Das war es nicht. Es war eher haarsträubend.
Montag, 28. August
Heute machen wir Ferien! Nach dem Frühstück verholen wir uns von 9.00 bis 10.00 Uhr durch idyllische Schärenlandschaft zum stillgelegten Steinbruch auf der Halbinsel Näset. Hier aalen wir uns den ganzen Tag in der Sonne, basteln Riechhölzer aus Wacholder, machen Gaffelspringen, schwimmen im warmen Schärenwasser, heizen erst die Sauna ein und anschließend ein Lagerfeuer bis in die Nacht. Ein Sommertag in den schwedischen Schären. Dieser Tag, eine ganzer Urlaub.
Dienstag, 29. August
5.00 Uhr Leinen Los am Steinbruch, es nieselt und ist ungemütlich, außerdem Wind von vorne. Wir tuckern unter Maschine südwärts durch die Schären, dann durch den Kalmarsund. Es klart schließlich auf, aber der Wind bleibt widrig und langsam müssen wir ja mal Strecke machen in Richtung Heimat. Also dieseln wir weiter, machen um 15.20 Uhr an der Südspitze Ölands fest, im Hafen Grönhögen. Die Saison ist hier vorbei, Zugvögel sammeln sich bereits zum Flug nach Süden, kurz und heftig ist der Sommer im Norden…
Um 20.00 Uhr gehts weiter, Kurs Bornholm.
Mittwoch, 30. August
Wir tuckern durch die windlose Nacht. Morgens um 7.00 Uhr werden Segel gesetzt. Zunächst halten wir auf die Nordspitze von Bornholn zu, den „Hammer“, dann entscheiden wir uns ganz spontan für Christiansö, eine kleine malerische Felseninsel, ideal zum Baden beim heutigen Sonnenwetter.
10.15 Uhr Fest auf Christiansö. Nachmittags liegen wir auf den Felsen an der Ostspitze, schwimmen und schnorcheln ein halbes Stündchen im klaren Wasser. „Ferien auf Santkrokan“, DAS Urlaubsbuch. Hier ist die Ostspitze Dänemarks. 15 Grad Ost, nun ja, wir waren auf 41 Grad Ost im Weißen Meer. Bornholm, 55 Grad Nord, das lag früher weit im Norden. Nun ja, wir waren auf 71 Grad Nord. Aber schön ist es dort wie hier, zumal bei solchem Sonnenwetter. Wir genießen den tollen Tag, mit einem kleinen Tropfen Wehmut darin…
Donnerstag, 31. August
Schön gemütlich segeln wir vormittags von Christiansö nach Svaneke auf Bornholm. Ein sehr gemütliches, sehr dänisches kleines Dörfchen. Hier bleiben wir und warten auf den Ostwind, der uns nach Rügen bringen soll.
Freitag, 1. September
Keine Wolke am Himmel, kein Lüftchen regt sich. Egal, wir müssen jetzt los.
8.30 Uhr Leinen Los in Svaneke, Ziel Stralsund. Vor dem Mittagessen machen wir eine kleine Badepause. Um 14.00 Uhr kommt ein leichter Südost auf, wir setzen alle Segel. Im Laufe des Nachmittags und Abends frischt es immer mehr auf, wir segeln mit über 7 Knoten, vor dem Wind! Um 21.30 Uhr passieren wir die Greifswalder Oie, segeln in den Peenestrom und machen um 23.15 Uhr in Peenemünde fest. Hier nehmen wir unseren neuen Besanbaum an Bord.
Samstag, 2. September
00.30 Uhr Leinen Los in Peenemünde. Es regnet; der Wind ist eingeschlafen. Wir tuckern über den Greifswalder Bodden, durch den Strelasund und machen um 5.45 Uhr Fest in Stralsund. Nach 4100 Seemeilen ist unsere Reise zuende. In mir 2 Teile Dankbarkeit, weil alles so gut geklappt hat und 8 Teile Wehmut, weil es vorbei ist. Wäre doch der 2. Juni und wir lägen in Skagen…
Autor des Reiseberichtes: Jochen Storbeck